3.12.2022

Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie

Szenenfoto

Das Theaterstück Tartuffe von Molière habe ich schon oft gesehen, eine unterhaltsame Komödie über einen religiösen Heuchler, der sich ins Haus des gut situierten Orgon einschleicht und sich dort Schritt für Schritt alles aneignet. Nur mit vereinter Kraft aller anderen Familienmitglieder lässt sich Orgon schließlich überzeugen, dass Tartuffe nicht so fromm ist, wie er annimmt. Vom historischen Vorbild blieb nicht viel übrig.

In Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie des Dresdner Staatsschauspiels geht es auch um die Bewohner eines Hauses. Orgon ist allerdings ein rührseliger SPD-Mann, der gegen den Rat seiner energischen Mutter Pernelle in seinem Haus keine Mieten verlangt. Die Bewohner leben in einer Art Hippie-Kommune zusammen, Tartuffe ist ein neuer Mitbewohner in diesem Kreis. Man kann sich das gut in Westberlin in den 70ern vorstellen.

Und nun beginnt ein rasanter Ritt durch die bundesdeutsche Geschichte.

  1. 1982 Helmut Kohl löst Helmut Schmidt ab
  2. 1989 die Wende geschieht, was dem Haus einen neuen Mitbewohner aus dem Osten beschert
  3. 1998 Rot-Grün mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer
  4. 2008 Lehman Brothers und Finanzkrise

Aus der WG voller liebenswerter aber erfolgloser Gestalten werden Eigentumswohnungen, die alle auf Kredit finanziert kaufen. Dann kommt der Börsen-Crash, der alle Verheißungen des schnellen Reichtums zunichte macht.In einer Casting-Show treten die ruinierten Protagonisten gegeneinander an, um in ein kleines Kellerloch einziehen zu dürfen.

Am Ende gewinnt Tartuffe, der für Neoliberalismus steht, für Anhäufung von Reichtum und Ausbeutung aller anderen, für Kapitalismus an sich.

In einem langen Schlusstext erkären die Schauspieler die Theorien von Thomas Piketty. Die Ungleichheit von Gesellschaften ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Ideologie. Durch höhere Besteuerung von großen Einkommen (Progression) und von Erbschaften ließe sich dies korrigieren, so ziemlich alle westlichen Länder hatten vor den 80ern wesentlich höhere Steuern auf hohe Einkommen. Doch durch den Siegeszug des Neoliberalismus wurden diese Steuern immer weiter gesenkt, Ronald Reagan und Margaret Thatcher waren die Wegbereiter dieser Entwicklung mit dem Versprechen des Trickle-Down.

Von daher schaffte dieser Theaterabend eine Veranschaulichung von Wirtschaftstheorie. Es war schon sehr lang und etwas anstrengend, aber durchaus amüsant und reizvoll.