Und Kafka lachte
Franz Kafka
Das Bild, welches normalerweise von Franz Kafka (Wikipedia-Eintrag) gezeichnet wird, ist das eines ernsten, melancholischen und verstörten Mannes mit einem sehr eigenwilligen Schreibstil. Eine Beschreibung, die ich jüngst in Harry Mulischs Prozedur fand, bringt das gut auf den Punkt.
Er will seinen Blick abwenden, aber da sieht er hinter dem Fenster von Nummer 22 plötzlich ein ganz andere Szene. Dort sitzt ein Mann von ungefähr dreißig Jahren mit gestreckten, weitgespreizten Beinen vornübergebeugt am Tisch und schreibt so fieberhaft, dass er sich kaum die Zeit nimmt, die Feder einzutauchen. Als er kurz aufsieht, trifft den Rabbi der glänzende, melancholische Blick seiner dunklen Augen: Augen wie schwarze Pfützen in einem Park, die dort nach einem Regenschauer zurückgeblieben sind. Mitten durch sein schwarzes Haar verläuft, weiße Kopfhaut zum Vorschein bringend, ein exakter Scheitel, als habe ein präzis arbeitender Henker dort Platz gemacht für das Beil, das seinen Schädel spalten soll. Wie ist er unter die Alchimisten geraten? Der Rabbi hätte ihn am liebsten nach seinen Namen gefragt, aber dafür hatte er keine Zeit.
Harry Mulisch, Die Prozedur
Es ist bequem, dieses Bild. Jedoch stellt sich die Frage, ob das wirklich Kafka gerecht wird, ob es nicht nur ein Teil seines Wesens war. Leider ist Kafka inzwischen zu einer Ikone geworden, die wenig Raum lässt für Gedanken, die von diesem Leitbild abweichen. Kurios ist, dass er sogar mit anarchistischen Bewegungen in Verbindung gebracht wurde, also der “rote” Kafka tauchte da plötzlich auf. Jedoch ist da wohl sehr wenig dran.
Die Besucher aus Prag
Judita und Jan sitzen mir gegenüber, sie sind gerade angekommen. Der Hospitality Club brachte uns zusammen, sonst hätte ich diese beiden wunderbaren Menschen aus Prag niemals getroffen. Sie arbeitet für eine Zeitung, das Kafka-Projekt, welches sie zusammen mit Jan, dem Fotografen, bestreitet, läuft nebenbei. Sie besuchen alle Orte, an denen Kafka gewesen ist, die ihn inspiriert haben können. Und auch Zürich ist dabei, Kafka war kurz hier, sozusagen auf der Durchreise. Ob ihn das dauerhaft verändert hat, wage ich nicht zu behaupten.
Wir reden Englisch. Sie hat diesen typischen Akzent der slawischen Sprachen, sie dehnt bestimmte Vokale und auch die Betonung ist anders. Es klingt nett, ist aber auf Dauer etwas anstrengend. Sie erinnert mich ein wenig an Kristina mit ihrer rötlichen, breiten Brille (ist wahrscheinlich ein ungeschriebenes Gesetz im Kulturbereich), den kurzen Haaren und den hellen Augen. Jan spricht auch Deutsch, er ist schon etwas älter, sein Bart ist teilweise grau. Die Haare trägt er extrem kurz, was ihn wiederum deutlich jünger macht. Seine Augen stehen weit auseinander, die Lider sind meist zu einem Viertel geschlossen, was ihm einen leicht schläfrigen Ausdruck verleiht.
Fotografie
Er fotografiert lieber analog, seine Erklärung dafür war sehr schön. Er meinte, dass man durch den Verbrauch realen Filmmaterials eher die Bilder im Kopf hat. Man kann sie auch nicht vorher sehen, was dazu führt, dass man mehr mit dem Kopf und der Vorstellungskraft arbeiten muss als bei einer digitalen Kamera. Das ständige Fotografieren und sofortige Anschauen der Resultate unterbricht diesen Prozess. Außerdem sind diese kleinen Displays trügerisch, Bilder sehen in ihnen deutlich besser aus als später in ausgedruckter Form. Ich fühlte mich bestätigt, vielleicht bleibe ich doch noch länger bei der analogen Kamera, auch wenn das Einscannen der Bilder ein sehr zeitaufwändiger Prozess ist.
Er zeigt mir einige seiner Aufnahmen, allesamt Drucke in schwarz-weiß. Schöne Gebäudeaufnahmen für das Kafka-Projekt, Häuser, in denen Kafka gewohnt oder gearbeitet hat. Besonders eindrucksvoll sind seine Bewegungsaufnahmen. Mit einem extrem dunklen Graufilter schafft er es, auch tagsüber zwei Minuten lang zu belichten und dadurch die Bewegung der Wolken sichtbar zu machen. Zusätzlich verwendet er einen Rotfilter, um das Himmelsblau abzuschwächen, somit kommen die hellen Wolken erst zur Geltung. Besonders gefällt mir die Aufnahme einer Gasse, im Vordergrund ist unscharf ein ornamentales Gitter zu sehen, mit einer schönen runden, jugendstilhaften Form. Er schenkt es mir, weil es mir so sehr gefällt.
Kafka begleitet mich. Überall sehe ich das blasse Gesicht, fühle mich konfrontiert mit einem Mythos. Dabei habe ich gar nicht so viel von ihm gelesen. Aber er wird mir langsam etwas sympathischer. Die beiden meinten, viele seiner Zeitgenossen hätten ihn als humorvollen Menschen geschildert, dessen trockene, wohlformulierte Einschätzungen legendär gewesen wären. Und vielleicht lachte er auch oft und gern, nur ist das leider nie fotografiert worden. Aber eines ist sicher: Wenn es Weblogs damals schon gegeben hätte – er hätte dieses Medium genutzt.